• Freispruch der Dachdeckergesellen in Karlsruhe

Ein ganz besonderer Tag beginnt

Der 30.9.2017 war ein ganz besonderer Tag für Yannick J. An diesem Morgen legte er seine beste Zunftkleidung an: schwarze Cordhose, schwarze Cordweste und ein weißes Leinenhemd mit Stehkragen. Dann folgte mit einem lauten „Klick“ der  breite, schwarze, Ledergürtel mit „Koppel“, „Löwenkopf“ und „Kette“.  Er hängte noch seinen Schieferhammer in die Kette und der Look war komplett. Ein Blick in die Runde – es konnte losgehen! Mit seinen Eltern und seiner Schwester machte er sich auf den Weg von Vaihingen nach Karlsruhe ins „Tollhaus“.

Hopp oder Topp? Dreisätze und Geometrie entscheiden

Seine Gedanken wanderten zurück in den Januar 2014. Damals hatte er sich für eine Ausbildungsstelle  zum Dachdecker beworben. Nun war er zum Einstellungstest bei der Firma Fink Bedachungen in Illingen geladen. Welche Formel gehört zu welcher Fläche? war eine der Fragen auf dem Zettel gewesen. Und er erinnerte sich, wie er  über einem Dreisatz geschwitzt hatte: „Um ein Dach mit 160 qm Fläche einzudecken, brauchen 2 Dachdecker je 12 Stunden. Wie viele Stunden brauchen sie, um ein Dach mit so und soviel Quadratmetern zu decken? Nun, es war ja alles gut gegangen! Er hatte den Test bestanden, erfolgreich ein Schnupperpraktikum absolviert und war eingestellt worden. Mit Chef und Kollegen war er gleich klargekommen.

Auf “Du und Du” mit jedem einzelnen Muskel

Doch nun ging‘s raus aufs Dach! Das Arbeiten im Team und draußen an der frischen Luft stellten sich als weit anstrengender heraus als die schlimmsten Tage in der Realschule. Schlafen war in den ersten Wochen eine seiner Hauptbeschäftigungen gewesen, um wieder Kräfte für den nächsten Arbeitstag zu gewinnen. Zum Glück war es Herbst! Die Temperaturen waren angenehm mild und meistens schien die Sonne. Ein perfekter Einstiegszeitpunkt für eine Lehre, stellte er erleichtert fest. Hier und da zwickte und zwackte es. Er hatte das Gefühl, mit jedem Muskel seines Körpers und jedem Gelenk „auf Du und Du“ zu sein. Und das war gut so – ein ganz neues Körpergefühl!

Karlsruhe – schulisches Zentrum der Dachdecker Baden-Württembergs

Mit der unglaublichen Energie, die er entwickelte, ging die Arbeit bald leichter von der Hand. Die Unterrichtsblöcke in der Berufsschule in Karlsruhe waren eine willkommene Abwechslung. Dort traf er auf Dachdeckerlehrlinge aus ganz Baden-Württemberg –auch weibliche! In der überbetrieblichen Ausbildung im Dachdeckerbildungszentrum Karlsruhe trainierte er seine praktischen Fähigkeiten.

https://www.dachdecker-bw.de/ Schließlich kommen nicht in jedem Betrieb alle Materialien und Deckarten vor. Deshalb gibt es dort zehn Übungswochen zu den Themen  Ziegel, Schiefer, Holz, Metall, Fassade, Kunststoff und Flachdach. Die Zeit verging wie im Flug. Ehe er sich‘s versah, fand er sich am Ende des 3. Lehrjahres wieder. Der 20. Juli 2017 sollte die Entscheidung bringen: Würde er sie schaffen, die Gesellenprüfung?

Jetzt wird’s ernst….

Stunden später: Glücklich und erleichtert nahm er die Prüfungsbescheinigung in die Hand: Das simple kleine blaue Kreuzchen beim Feld „bestanden“ würde sein Leben ändern! Ab dem 21.7.2017, dem Tag danach, würde er kein Lehrling mehr sein, sondern Junggeselle! Und er würde mehr Geld verdienen und für eigene Baustellen verantwortlich sein.

Kurz vor dem Freispruch

Seitdem waren 9 Wochen vergangen. Am „Tollhaus“ in Karlsruhe angekommen  führten ihn seine Gedanken wieder zurück in die Gegenwart. Alle waren sie zur feierlichen Freisprechungsfeier angereist: Seine  Schulkameraden, die Junggesellen mit ihren Familien aus ganz Baden-Württemberg, ihre Ausbildungsbetriebe, Lehrer, Vertreter des öffentlichen Lebens und der Dachdeckerverbände.

Die Festredner zollten den Junggesellen Hochachtung. Die Lehrer blickten zurück auf die gemeinsame Unterrichtszeit. Alle waren sich einig: Ohne Fleiß kein Preis! Tolle Leistungen seien bei der praktischen Prüfung erbracht worden. Die Prüflinge hätten ihre Sache super gemacht. Der Gesellenbrief, den sie in wenigen Minuten überreicht bekämen, sei ein „Zertifikat für eine gesicherte Zukunft“. Es müsse nicht immer ein Studium sein. Im Gegenteil: Mit ihrer Ausbildung und ihrem Verdienst könnten Sie so manchem Akademiker nun Paroli bieten, so ein Festredner. Niemand würde einem gelernten Dachdeckergesellen ein „X“ für ein „U“ vormachen können!

Bewegende Momente

Und dann kam der bewegende Moment: Wie in alten Zeiten, als Lehrlinge noch für ihre Ausbildung bezahlen und dem Ausbildungsmeister absoluten Gehorsam schuldig waren, sollten nun auch die Junggesellen aus 2017 von den Pflichten ihres Lehrvertrages freigesprochen werden. https://de.wikipedia.org/wiki/Freisprechung

Das Freisprechungsritual

Michael Braunwarth, stellvertretender Landesinnungsmeister, richtete feierlich seine Worte an die sie:

„Bitte erhebt euch von euren Plätzen! Ich spreche euch nun nach alter Tradition von den Pflichten eures Lehrvertrages frei. Ihr seid nun Gesellen des Dachdeckerhandwerks. Geht hinaus in die Welt, um zu lernen und zu arbeiten, zum Wohle eurer Person, aber auch zum Wohle des Berufsstandes des Dachdeckerhandwerks. Glück auf!“

Gänsehautfeeling bei den Junggesellen. Bei den Eltern blieb kein Auge trocken. Beifall brandete auf. Stolz strahlten die Junggesellen, als sie ihre Gesellenbriefe auf der Bühne vor allen Anwesenden überreicht bekamen. Für jeden Einzelnen und jede Einzelne stand fest: „ich habe den richtigen Beruf gewählt! Die Anstrengung hat sich gelohnt. Und: Ich werde mich weiterbilden, um jederzeit aktuelles Know How zu besitzen und „zum Wohle des Berufsstandes der Dachdecker“ perfekte Dächer zu bauen!

Mehr Infos unter: https://dachdeckerdeinberuf.de