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Unsere Auszubildende Julia mit 96 Punkten an der Spitze ihres Ausbildungsjahrgangs

Urlaub mit Hammer am Dachmodell statt im Liegestuhl am Sandstrand? Klingt wenig attraktiv, aber für unsere Junggesellin Julia haben sich Engagement und gute Vorbereitung bestens gelohnt. Am 24. und 25. Juli wusste sie: die 16 Stunden Prüfungszeit würde sie locker auch noch schaffen.

Schon mal eine Gesellenprüfung miterlebt?

Können Sie sich vorstellen, wie eine praktische Gesellenprüfung abläuft, in der die Prüflinge in einer großen, lichtdurchfluteten Halle in ihrer Dachdeckerkleidung an Dachmodellen sägen und hämmern?
Wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, noch nie eine praktische Gesellenprüfung mitgemacht haben, schließen Sie doch einmal kurz die Augen. Stellen Sie sich eine weitläufige Halle vor. Riesige Dachmodelle stehen nebeneinander, Baumaterial und Gerätschaften finden sich säuberlich gestapelt an der Seite und im vorgelagerten Hof. Die Prüflinge arbeiten konzentriert an ihren Arbeitsproben. Dazwischen laufen die Prüfer auf und ab und bewerten jeden Handgriff, jedes Detail. Auch Arbeitsweise und Arbeitsorganisation werden beurteilt, sogar, wie die Baustelle am Ende aufgeräumt ist. kein Wunder, dass immer wieder Kandidaten durchfallen.

24. Juli 2018, 8.00 Uhr

Die Gesellenprüfung beginnt. Julia ist fit und ausgeschlafen. Sie ist einen Tag früher nach Karlsruhe angereist und hat sich eine Übernachtung gebucht. Ein Stau auf der Autobahn hätte sie nervös gemacht. Der Adrenalinspiegel steigt. Julia hat „Steildach“ als Ausbildungsschwerpunkt gewählt. Genau vier Stunden hat sie Zeit für ihre Arbeitsprobe mit Biberschwanzziegeln, Blech und Holz. Auch einen Sicherheitsdachhaken kann sie in dieser Zeit noch einbauen.

Nur zwei Stunden sind für Arbeiten an der Fassade vorgesehen. Das Ergebnis aus Naturschiefer würde dann 10 Reihen hoch und 1,40 m breit sein. In 75 Minuten wird Julia dann noch eine PVC-Abdichtung inklusive Ecke herstellen – eine knifflige Angelegenheit! Für die Dachrinne und das Einpassen eines Rinnenbodens hat sie gerade mal eine Stunde zur Verfügung.

Wie es beginnt

Früh am Prüfungsmorgen ist es noch ruhig und sauber in der Halle. Draußen in der Morgenkühle zwitschern aufgeregt die Vögel. Verschiedene Materialien liegen zur Verarbeitung bereit: Biberschwanzziegel, Latten, Rollen mit Kunststoffbahnen, Naturschieferplatten und vieles mehr. Jeder Prüfling hat seinen eigenen Werkzeugkasten mitgebracht. Für ihre Prüfung haben sich die angehenden Junggesellen und – gesellinnen besonders gestylt, sie strahlen mit ihrer coolen Dachdeckerkleidung um die Wette. Am Ende des Tages wird nicht nur den Prüflingen anzusehen sein, wie hart sie gearbeitet haben.

Kann man bei der Gesellenprüfung abgucken?

Nun wird es ernst: Julia bekommt ihren Platz für die kommenden zwei Prüfungstage zugewiesen – eines der vielen Modelle in der großen Halle. Hier darf sie sich während der Prüfungszeit frei bewegen. Welche „Prüfungsnachbarn oder Nachbarinnen“ sie haben wird, ist Zufall. Ob sie beim Nachbarn „abgucken“ kann? Na, da wäre sie eher schlecht beraten – sie will ja die Beste werden!

Bald wird es lauter im Dachdeckerbildungszentrum. Es sägt, bohrt und hämmert. Die Abluftkanäle saugen surrend Stäube auf und die Prüflinge stehen allmählich die Schweißperlen auf der Stirn – nicht nur wegen der Anspannung, sondern auch wegen der hochsommerlichen Temperaturen. Während sie an den Arbeitsproben ihr Bestes geben, sind die drei Prüfer Herr Gradner, Herr Hauptmann und Herr Ammann, zwischen den Modellen unterwegs und beobachten aufmerksam das Geschehen.

Was die Prüfer begutachten

Sie schauen den Prüflingen genau auf die Finger und machen sich Notizen. Hat ein Prüfling Fragen, darf er oder sie diese jederzeit stellen. Dieses Angebot kann sehr hilfreich sein. In einer zweitägigen Prüfung kann es nämlich durchaus vorkommen, dass jemand einmal „auf dem Schlauch steht“. Aufmerksam nehmen die Prüfer wahr, ob jemand gerade in Schwierigkeiten steckt, irgendwas nicht klappt oder er/sie nicht weiß, wie es funktioniert. Hilfsbereit sprechen sie den angehenden Gesellen und Gesellinnen Mut zu oder geben hilfreiche Anregungen– genau wie später der Meister auf der Baustelle, bei dem sich der Geselle jederzeit Tipps holen kann.

Wie wird man Landessiegerin?

Zurück zu Julia und ihrem Modell. Sie hat sich vorgenommen, die Beste zu werden! Wie das geht? In jeder der Arbeitsproben Biberschwanz – Holz, Metall, PVC und Schiefer sind maximal 100 Punkte erreichbar. Es ist klar definiert, welches Detail wie viele Punkte ergibt. Alle erreichten Punkte werden zusammen addiert und anschließend durch vier geteilt. Die erreichte Punktzahl ergibt dann das Prüfungsergebnis gesamt. Seien Sie also gespannt, welche Punktzahl am Ende herauskam!

Mittwoch, 25. Juli, 13.00 Uhr

Allmählich neigt sich der zweite Prüfungstag dem Ende zu. Ganz am zum Schluss der Prüfung muss Julia noch das so genannte „Fachgespräch“ bestehen. Es bezieht sich auf den gewählten Ausbildungsschwerpunkt. Bei ihr ist es das Steildach. Im Fachgespräch fühlen die Prüfer der jungen Frau so richtig „auf den Zahn“, um herauszufinden, ob sie auch das erforderliche Fachwissen fürs eigenständige Arbeiten auf der Baustelle besitzt.

…nun noch das Fachgespräch…

Als zwei „dumme Kunden“ tauchen die Prüfer wie aus dem Nichts plötzlich an Julias Ziegelmodell auf. Sie scheinen ja wirklich keine Ahnung zu haben! Ob man denn den First nicht auch anders ausführen könnte? wollen sie wissen. Oder auch die Traufe – muss die denn so sein wie hier am Modell? Natürlich kennt Julia auch die Fachregel, nach der alle Ortgänge mechanisch befestigt werden müssen. Genau deshalb hat sie schließlich die Ortgangziegel an ihrer Arbeitsprobe angeschraubt! Der „Ortgang“ ist die Dachkante am Übergang von der Dachfläche zum Giebel. Noch viel mehr von dem Wissen, das sie sich in den beiden Lehrjahren auf der Baustelle erworben hat, kann Julia nun „an die Prüfer“ bringen….

15.52 Uhr – brütende Hitze

Mit 36 Grad hat die Sonne an diesem heißen Sommertag nun den Zenit überschritten. Um die Nachmittagshitze zu meiden, ist das Fink-Team heute schon um 6 Uhr auf die Baustellen gefahren. Inzwischen haben sich die Dachdecker unter der kühlen Tropendusche erfrischt. Eigentlich wären sie schon längst auf dem Weg nach Hause oder ins Freibad. Doch heute sitzen sie im schattigen Kundenbereich, unterhalten sich und warten geduldig. Worauf? Auf „ihre“ Junggesellin Julia natürlich! Schließlich wollen sie ihr als Erste gratulieren und mit ihr anstoßen.

Geschafft! Mit 96 Punkten zum Landessieg

Um 15.52 Uhr ist es so weit. Nach einer Stunde Autofahrt von Karlsruhe nach Illingen „klickt“ die Eingangstür und sie tritt ein: Strahlend und erleichtert– Julia Peetz, nicht nur Junggesellin, sondern mit unglaublichen 96 Punkten auch 1. Landessiegerin im Dachdeckerhandwerk in Baden-Württemberg! Die Kollegen sind gerührt und stolz. Ein kräftiger Händedruck, ein anerkennendes, Schulterklopfen und vielleicht noch eine Umarmung – so drücken Dachdecker wahre Freude aus! Gläser mit Sekt und „Secco 0“ für die Autofahrer klingen. Nach einer kurzen Pause sprudelt es geradezu aus ihr heraus. Julia beginnt, zu erzählen. Die Gänsehaut kriecht ihnen den Rücken hoch. Fast alle im Raum können mitfühlen und reisen in Gedanken zurück in die Jahre 2017, 2014, 2006, 1992, 1981 – dem Tag ihrer Gesellenprüfung!

Wie hat sie das nur gemacht?

Und dann stürmen eine Menge neugieriger Fragen auf Julia ein.
Nein, sie sei ruhig und gelassen gewesen. Eher seien es die Prüfer gewesen, die aufgeregt waren, wegen der neuen Prüfungsordnung. Diese habe den entscheidenden Vorteil, dass sie als Prüfling sich die Zeit habe selbst einteilen können. So habe sie sich wohl überlegte Zeitlimits für die einzelnen Prüfungsteile gesetzt und bald gemerkt, dass sie es schaffen wird.

Die Frage, was für sie am schwierigsten war, hat sie schnell beantwortet: Die Arbeit mit dem PVC! Hier ist exaktes Arbeiten notwendig, damit die Abdichtung auch wirklich dicht ist. Sehr schnell habe man oder frau eine „Kapillare“ drin , und wenn die nur 2 cm hat…. Dann wird beim Kunden später die Decke nass!

Die ersten Minuten nach dem Sieg

„Nach dem ersten Prüfungstag“, sagt Julia, „ging es mir schon richtig gut. In der Arbeitsprobe „Metall“ habe ich ein super Ergebnis erzielt. Ich habe es selbst geprüft. Meine Rinne sah einwandfrei aus – wie aus der Fabrik! Als ich dann am zweiten Tag nach der Prüfung das Ergebnis bekam, fand ich das einfach nur cool! 96 Punkte! Ich war mit Abstand die Beste, das war mir gleich klar. Meine Kollegin und meine Kollegen hatten 52, 64, 74 und 84 Punkte.“
„Und was hast du dann als erstes gemacht?“ wollen die Kollegen wissen.
„Na ich habe natürlich den Chef und meine Eltern angerufen! Die waren alle ganz gerührt und haben fast geheult am Telefon. Das hat mich erst ein bisschen gewundert. Aber dann war mir klar: Es war einfach ein Zeichen, dass sich auch bei ihnen die Anspannung gelöst hat.“

Gute Ausbilder sind ein Teil des Erfolgs

Ich, die Chefin, will wissen, ob sich im Laufe der Ausbildung ihre Ziele oder Neigungen verändert haben. „Ja“, so Julia, „am Anfang der Ausbildung war mein Interesse eher breit gefächert. Dass mir mit der Zeit das Flachdach so viel Spaß machen würde, hatte ich jedoch nicht erwartet.“ Sicher habe das auch mit ihrem Ausbilder Florian zu tun, mit dem sie sich super verstanden habe. Sehr früh habe er sie ihre eigenen Ecken und Aufkantungen ausführen lassen, und immer sie er mit ihrer Ausführung zufrieden gewesen.

Und was kommt jetzt?

Auf die Frage, was sie nun in der Zukunft plane, weiß Julia genau: „Zwei Jahre werde ich mal zu Hause mitarbeiten, einen Einblick gewinnen und schauen, wie da alles läuft. Ich möchte gerne Gesellenjahre machen, bevor ich mich dann später zur Meisterschule anmelde. Und irgendwann“, sagt Julia mit einem Augenzwinkern, „werde ich dann Papas Rolle in der Firma übernehmen und Bauleiterin werden!“
Da bleibt uns nur noch, ihr alles Gute dafür zu wünschen, oder, wie wir Dachdecker sagen, „Ein dreifaches Glück Auf“!

15.9.2018, 10.30 Uhr: freigesprochen!

Der große Tag der Freisprechungsfeier im „Tollhaus“ in Karlsruhe ist gekommen. Julia darf sich feiern lassen. Zwei der 81 Junggesellen sind Junggesellinnen. Eine davon ist Julia, und sie ist die 1. Landessiegerin! Wir als Ausbildungsbetrieb nehmen stolz den „Herbert Winter-Wanderpokal“ entgegen. Auf diesem Pokal sind alle 1. Landessieger der letzten Jahrzehnte und ihre Ausbildungsbetriebe eingraviert. Der Pokal wird uns ein Ansporn sein, weiterhin erstklassige Ausbildungsqualität anzubieten. Doch: „Nach der Prüfung ist vor der Prüfung“! Julia wird schon bald wieder loslegen mit Üben. Denn am 5. und 6.11.2018 will sie sich in Mayen dem Leistungswettbewerb der Landessieger im Dachdeckerhandwerk stellen – dem Bundesentscheid. Welches Ziel sie wohl hat?