• Julia arbeitet an Ev. Kirche Ölbronn
Wer ist denn „der Boss“ auf der Baustelle? Der Älteste? Der mit dem Tablet in der Hand? Oder der, der eine wichtige Miene aufsetzt?

Könnte es auch „die“ sein – die Frau im Team?

Warum eigentlich nicht? In unserem Betrieb bilden wir zum zweiten Mal eine junge Frau zur Dachdeckerin aus, die nach dem Abitur den Beruf „Boss“ anstrebt. Wie es ihr in der Männerwelt geht und wie es ihr gelang, in kurzer Zeit einen „festen Stand“ unter den Kollegen zu haben, das hat sie mir vor kurzem in einem Telefoninterview erklärt. Telefoninterview – warum das denn? Ganz einfach: Julia lernt als Abiturientin nur zwei Jahre lang. Sie ist öfter in der Berufsschule als ihre Kollegen, denn sie absolviert genauso viele Unterrichtsstunden. 15 Wochen nimmt sie an der Überbetrieblichen Ausbildung im Dachdecker-Bildungszentrum teil. 14 Wochen besucht sie den Unterricht in der Heinrich Hübsch-Schule in Karlsruhe.

Julia, bevor du bei uns mit der Lehre zur Dachdeckerin begonnen hast, hast du noch ein FSJ (Freiwilliges Soziales Jahr) absolviert. Warum?

Nach dem Abitur wollte ich nicht direkt eine Ausbildung beginnen und habe mich deshalb zuerst für ein FSJ beworben. Ich „konnte“ schon immer gut mit Kindern, deshalb habe ich dann bei der Mittagsbetreuung im Schülerhort geholfen.

Was genau war in der Mittagsbetreuung deine Aufgabe?

Zweimal 90 Dritt- und Viertklässler musste ich beim Mittagessen betreuen und später „bespaßen“. Das waren ganz schön viele. Da habe ich bald gemerkt, dass das doch nicht so „mein Ding“ ist. Als ich dann später ein Praktikum bei der Firma Fink absolviert habe merkte ich, dass mir handwerkliche Arbeiten doch mehr Befriedigung geben.

Hattest du vor dem Praktikum  schon handwerkliche Erfahrungen gesammelt?

Ja, zu Hause! Als Kind habe ich schon immer gern mit meinem Bruder gebastelt, z. B. mit Lego und Holzbaukästen. Außerdem habe ich schon immer gerne andere bei der Arbeit beobachtet. So konnte ich bald bei meiner Oma alles Mögliche reparieren und habe auch mit meinem Cousin gerne Schränke aufgebaut.

Wie erging es dir beim Praktikum? Erzähl doch ein bisschen!

Super! Am ersten Tag war ich ein bisschen aufgeregt. Da durfte ich gleich mit Roland und einer größeren Kollegengruppe auf ein Steildach gehen. Dabei hat es mir viel geholfen, dass ich zu Hause schon ein bisschen mit angepackt hatte. Ich durfte gleich richtig mitarbeiten. Die Gesellen haben mir viel gezeigt, zum Beispiel, wie man einen Rinnenträger montiert. Oder wie man am Traufblech eine Ecke falzt. Und dann durfte ich es selbst probieren. Zuschauen  – nachmachen – zuschauen….  – so ging das immer. Am Abend war ich ganz stolz auf das, was ich gemacht hatte. Von Tag zu Tag wurde mir klarer, dass ich lieber etwas Bleibendes, Sichtbares schaffen möchte, als Kinder zu betreuen. Ich wollte viel lieber draußen sein an der frischen Luft und auch nicht jeden Tag das Gleiche machen, sondern Abwechslung bei meiner Arbeit haben! Wenn es nicht gerade regnet und schneit ist das eindeutig besser als im Büro hocken.

Und wenn doch mal Sauwetter ist, was dann?

Ach, mit guter Kleidung und warmen Gedanken kommt man durch! Man darf sich nur nicht die Laune durch das Wetter vermiesen lassen. Abends stecken wir alle Klamotten in den Trockenschrank und am nächsten Morgen können wir wieder durchstarten.

Du hast gesagt, die „Abwechslung“ bei deiner Arbeit sei dir wichtig. Was verstehst du darunter?

Oh, das ist ganz einfach! Manchmal reparieren wir bei Kunden das Dach, weil es hineinregnet. Da sind wir nur kurz bei ihnen und sie sind froh, dass wir ihnen helfen können. Oft decken wir aber ganze Dächer um, mit Wärmedämmung und allem drum und dran. Dann dauert die Baustelle mehrere Tage. Mit unserem Dach geben wir dem Gebäude einen ganz neuen Charakter. Und es gibt viele verschiedene Dächer: Kirchtürme, Wohnhäuser, Fabrikgebäude….

Kann eine Person denn all diese verschiedenen Typen von Dächern decken?

In der Ausbildung lernen wir alles. Wenn ich ein Flachdach abdichte ist das natürlich etwas ganz Anderes, als wenn ich ein Steildach eindecke oder eine Fassade bekleide. Wir nutzen auch so viele unterschiedliche Materialien: Dachbahnen, Ziegel, Schieferplatten, Dämmmaterialien unterschiedlichster Art und so weiter. Deshalb legt jede/r schon in der Gesellenprüfung einen Schwerpunkt auf das Gebiet, das ihr oder ihm am meisten liegt.

Gibt es auch Dinge am Dachdeckerberuf, die dir schwer fallen?

Das gibt es auch, z. B. wenn wir einen Dachboden auf engstem Raum sauber machen müssen. Da ist es dann eng, nicht gut begehbar und man muss sich verrenken. Aber das gehört dazu – ich sehe es als Herausforderung. Lacht. Und weil ich als Frau kleine kurze Finger habe, darf manchmal herhalten, um in irgendein Loch reinzugreifen, in das die Kollegen mit ihren Wurstfingern nicht reinkommen. Deren Finger sind nämlich gar nicht filigran!

Was hat dir den Einstieg in diese „Männerdomäne“ erleichtert?

Ich kann mich gut einbringen und schrecke auch nicht zurück, wenn mal ein „dummer Kommentar“ kommt. Ich weiß mich dann schon zu wehren! Meine offene Art kommt auch gut an. Es gab ja schon mal eine Auszubildende im Betrieb. Die Kollegen machen keinen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Azubis und haben mich sofort alles machen lassen. Wenn etwas sehr schwer ist, dann helfen sie mir. Das finde ich ok. Es kommen auch deswegen keine dummen Bemerkungen. Deshalb habe ich mich auch nach dem Praktikum entschieden, bei dieser Firma und diesem Team die Ausbildung zu machen.

Glaubst du, dass Frauen den Dachdeckerberuf schlechter ausüben können, weil sie körperlich weniger stark sind?

Ja und nein. Einige Sachen sind echt schwer, z. B. manche Schweißbahnrollen.  Wenn man die dann gefühlt einen Kilometer über Baustelle schleppen soll, ist das anstrengend. Zum Glück  gibt es Hilfsmittel, wie z. B. den Autokran.

Abgesehen davon glaube ich nicht, dass Frauen weniger für den Dachdeckerberuf geeignet sind. Es geht ja schließlich nicht nur um das Körperliche! Man muss auch was kapieren, eine Vorstellung davon bekommen, was man machen soll und wie die Lösung aussehen könnte. Da ist Grips gefragt. Wenn wir Schieferarbeiten machen, ist auch der Blick fürs Schöne gefragt, viel Vorstellungskraft und ein „Händchen“, schon beim Behauen der Platten.

Hast du eine Idee, woran es liegen könnte, dass es immer noch viele Berufsfelder gibt, in denen Frauen fast gar nicht zu finden sind?

Zum Einen gibt es gesellschaftliche Vorbehalte. Und zum Anderen denke ich, dass entweder die Frauen es sich nicht zutrauen, mit mehreren Männern zu arbeiten oder dass sie Bedenken wegen der körperlichen Arbeit haben. Bei uns Dachdeckern tun Frauen dem Team immer gut. Sie „mischen“ die Atmosphäre ein bisschen auf und haben viele Eigenschaften, die man als Dachdeckerin braucht: Sie können gut mit Menschen umgehen, sind verlässlich, lernen und spezialisieren sich gern. Aber die Jungs mit ihrer Kraft sind schon auch wichtig. Deshalb werden Frauen in Dachdeckerteams nie die Mehrheit sein können.

Gibt es manchmal Machosprüche von Kunden und Kollegen?

Von den Kunden eigentlich nicht. Sie fragen eher, wenn ich wieder in der Berufsschule bin, „Kommt euer Mädle nicht mehr mit?“ Es kommt schon mal vor, dass ich von anderen Handwerkern auf der Baustelle einen komischen Blick zugeworfen bekomme nach dem Motto „Kann die das?“  oder der Zimmerer hat mal zum Gesellen gesagt „Du hast aber auch eine fesche Kollegin!“ Da denke ich mir gar nichts dabei.

Gibt es  Kunden, die skeptisch schauen und sich nicht von einer Frau bedienen lassen wollen?

Nein. Aber manche geben mir nicht die Hand. Es kommt manchmal vor, dass sie nur dem Mann die Hand geben.

Warum?

Er ist der Boss, vermuten sie.

Hast du das Gefühl, als Frau durch mehr Fachwissen überzeugen zu müssen?

In der „Überbetrieblichen Ausbildung“ bin ich eine der Besten. Wir sind drei Frauen. Die Jungs sagen dann „Ihr wieder, ihr bekommt ja sowieso eine Eins!“  und sind dann eifersüchtig.

Welche Empfehlung würdest du also Frauen geben, die im Handwerksbetrieb mit männlichen Kollegen arbeiten wollen?

Man darf nicht auf den Mund gefallen sein und sollte viel Spaß verstehen. Es ist gut, nicht alles auf die Goldwaage zu legen, was gesagt wird. Ich sage mir: Wenn man aufgeschlossen ist, nicht auf Abstand geht und mit den Männern genauso umgeht wie mit der besten Freundin, dann klappt‘s.

Was würdest du einem Mädchen sonst noch raten, das einen „frauenuntypischen“ Beruf erlernen möchte?

Sie sollte auf jeden Fall ein Praktikum machen. Wenn sie dort gut angenommen wird, sollte sie es wagen. Auf keinen Fall sollte sie sich von irgendwelchen Männern abschrecken lassen. Wenn ich einen dummen Kommentar bekomme, bekommen die auch einen von mir zurück!

Fällt dir außerdem noch etwas Positives zum Dachdeckerinnenberuf ein?

Ich finde, man lebt in dem Beruf gesund, weil man ständig draußen ist. Im Sommer finde ich es auch schön, den Sonnenaufgang zu sehen, wenn wir ganz früh anfangen zu arbeiten. Sonst würde ich ja noch schlafen. In dem Beruf hat man auch keine Bewegungsarmut.

Da hast du sicher recht! Neulich habe ich gelesen: „Bewegungsarmut ist das neue Rauchen.“ Danke für das Interview und viel Erfolg bei deiner Gesellenprüfung im Juni!

Was aus Julia und ihrer Prüfung geworden ist? Du wirst staunen! Schau mal hier.

Für die exzellente Ausbildungsqualität wurde unser Betrieb von der Handwerkskammer Karlsruhe ausgezeichnet. Ob Frau oder Mann, ob Förderschüler oder Abiturientin – alle Lehrlinge fühlen sich bei uns wohl und erreichen ihr Ziel. Voraussetzung ist, dass sie es selbst auch wollen! Wir bieten dir jederzeit gerne ein Schnupperpraktikum an. Ruf an, komm und probier‘s aus! Wer weiß, vielleicht liebst auch du das Arbeiten hoch oben im Freien und bei aufgehender Sonne?

Mehr Informationen zum Beruf des Dachdeckers/der Dachdeckerin findest Du hier.